Dissertation von Philipp Masur: „Situational Privacy and Self-Disclosure“ [07.12.18]
Philipp Masur kombinierte in seiner im Juli erschienen Dissertation eine theoretische und empirische Herangehensweise an die Wahrnehmung von Privatheit sowie deren Umsetzung im Verhalten.Bereits im Dezember letzten Jahres verteidigte Philipp Masur seine Dissertation. Im Juli dieses Jahres erschien dann auch das entsprechende Buch „Situational Privacy and Self-Disclosure: Communication Processes in Online Environments“ im Springer-Verlag. Doch worum ging es Philipp eigentlich in seiner Arbeit? Was ist das besondere an einer situativen Perspektive? In diesem Beitrag fasst Philipp Masur seine Kernargumente und -erkenntnisse zusammen:
Eine situative Perspektive auf Privatheit und Selbstoffenbarung
Woran denken wir, wenn wir das Wort Privatsphäre hören? Manchmal denken wir an unser zu Hause oder unsere Wohnung – eine klassisch „private“ Sphäre. Aber sind nicht auch unsere Gedanken irgendwie privat? Was ist mit Informationen über uns selbst? Ist unser Name, unsere Adresse oder unser Geburtstag privat? Sind sie damit Teil einer irgendwie gearteten Privatheit? Eine Antwort auf die Frage nach der Definition von Privatheit bzw. Privatsphäre ist trotz aller existierenden Versuche das Konstrukt zu konzeptualisieren nicht einfach. Aus sozialpsychologischer Sicht macht es meiner Meinung jedoch Sinn, Privatheit als ein situatives Konstrukt aufzufassen. Eine „private Sphäre“ entsteht vor diesem Hintergrund aus den jeweils situativ vorherrschenden Bedingungen. Welches Ausmaß an Privatheit gerade gegeben ist, hängt also von einer Reihe von unterschiedlichen Faktoren ab, die sich von Situation zu Situation ändern können.
Theorie der situativen Privatheit und Selbstoffenbarung
Auf dieser Grundprämisse basiert die im Buch vorgestellte „Theorie der situativen Privatheit und Selbstoffenbarung“. Privatheit ist also ein Zustand, der sich aus unterschiedlichen interpersonalen (z.B. Wer ist gerade anwesend oder hat Zugang zu meiner Person und Informationen über meine Person) und externen Umweltfaktoren (z.B. Barrieren bzw. Schutzmechanismen, die vor Zugang zur Person oder Identifikation schützen) ergibt. Anhand der Ausprägung der einzelnen Faktoren lässt sich das Ausmaß der Privatheit für jede denkbare Situation ermitteln. Kommuniziert man zum Beispiel gerade mit einer guten Freundin (interpersonaler Faktor) über eine geschützte Datenverbindung (z.B. über den Instant Messenger Threema), dann ist das Ausmaß der Privatheit vergleichsweise hoch. Nur EINE und zugleich vertrauenswürdige Person hat Zugang zur eigenen Person (sowohl visuell wie auch informationell) und dieser Zugang wird durch die Verschlüsselung von Threema zusätzlich geschützt. Online-Umgebungen (wie zum Beispiel Facebook) sind häufig weniger privat, weil häufig viele und teilweise sogar unbekannte Personen (Facebook-Nutzer) und Institutionen (z.B. Facebook selbst) Zugang zu den Daten haben (interpersonaler Faktor) und gleichzeitig vergleichsweise wenig Schutzmöglichkeiten bestehen (wenn z.B. keine Anpassungen an den Privatheitseinstellungen vorgenommen werden).
Die im Buch vorgestellte Theorie argumentiert also, dass Personen auf Basis unterschiedlicher Umweltfaktoren, die in jeder Situation in einer bestimmten Ausprägung gegeben sind, das Ausmaß der Privatheit evaluieren. Sie tun dies, weil eine private Situation ihnen die Möglichkeit für ansonsten risikoreiches Verhalten wie Selbstoffenbarung bietet. Aus Basis bestehender Forschung argumentiere ich weiter, dass man in prä-situative Privatheitsregulationsprozesse, situative Privatheitswahrnehmungs- und Selbstoffenbarungsprozesse und post-situative Evaluationsprozesse unterscheiden sollte. Diese prozess-orientierte Perspektive erlaubt dann die situative Wahrnehmung von Privatheit und die damit zusammenhängende Möglichkeit zur Selbstoffenbarung mit präventiven oder korrektiven Privatheitsregulationsstrategien zu verbinden.
Kann man situative Prozesse untersuchen?
Bisherige Forschungsarbeiten zu Privatheits- und Selbstoffenbarungsprozessen führten häufig Befragungen oder vereinzelt auch Experimente durch. Beide Methoden eignen sich jedoch nur bedingt, um die Situativität der Privatheit zu erfassen. Befragungen messen grundsätzlich Aggregate, d.h. Selbsteinschätzungen von Befragten, wie sie grundsätzlich Privatheit wahrnehmen (z.B: „Wie besorgt sind Sie über ihre Privatheit im Internet?“) bzw. wie sie sich grundsätzlich verhalten (z.B. „Wie viel Informationen über sich geben Sie grundsätzlich auf Facebook preis?“). Um die situativen Unterschiede in der Wahrnehmung von Privatheit und im Verhalten selbst zu erfassen, entwickelte ich ein Mehrmethodendesign, welches es mir erlaubte, einerseits personenbezogene Unterschiede in der Nutzung unterschiedlicher Kommunikationsmedien, andererseits über einen Zeitraum von 14 Tagen die Smartphone-Kommunikation von 164 Personen, zu untersuchen. Mit Hilfe von Tracking-Methoden (Aufzeichnen der Smartphone-Nutzung) und der Experience-Sampling-Methode (Situatives Befragen über einen längeren Zeitraum) erfasste ich situative Wahrnehmungen von Umweltfaktoren, unmittelbar nachdem eine Person über ihr Smartphone kommuniziert hatte.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass Personen, die über eine höhere Privatheitskompetenz verfügten und sich mehr Sorgen darüber machten, dass Informationen über sie von Smartphone-Anwendungsanbietern gesammelt werden, eher privatheitsfreundliche und weniger privatheitsinvasive Anwendungen nutzen. Weiterhin konnte die Untersuchung zeigen, dass Menschen in der Tat in Situationen, in denen ein höheres Ausmaß an Privatheit vorherrscht, eher bereit sind sich zu offenbaren. Anders gesagt, die Studienteilnehmenden gaben immer dann an private Informationen geteilt zu haben, wenn die potenziellen Empfänger nur wenige Personen waren, die gleichzeitig vertrauenswürdig, psychologisch nah, ähnlich und im besonderen Maße wichtig für sie waren (interpersonale Faktoren der Umwelt).
Eine situative Perspektive auf Privatheit und Selbstoffenbarung erlaubt es einerseits Privatheits- und Selbstoffenbarungstheorien miteinander zu vereinen und gleichzeitig die Abhängigkeit beider Konstrukte von unterschiedlichen situativen Bedingungen theoretisch greifbar zu machen. Die Ergebnisse zeigen auch, dass eine Untersuchung derjenigen Faktoren, die für ein höheres, wahrgenommenes Ausmaß an Privatheit verantwortlich sind, wichtig ist, um individuelles Verhalten im Zusammenhang mit Privatheit zu verstehen. Auf diese Weise kann Forschung nicht nur einen präziseren Einblick in Kommunikationsprozesse in Online-Umgebungen gewinnen, sondern auch herausfinden, wie solche Umwelten geschaffen sein müssen, um selbstbestimmte und risikofreie Kommunikation zu ermöglichen.
Mehr Informationen über das Buch "Situational Privacy and Self-Disclosure" finden Sie hier.